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1. Bergs Oper
Alban Berg, populärster Vertreter der Schule um Arnold Schönberg,
schuf mit seiner Vertonung des Büchnerschen Dramenfragments über
den "Abgrund Mensch" das Opern-Schlüsselwerk des 20. Jahrhunderts.
Die Anregung zur Vertonung des Woyzeck erhielt Berg durch den
Besuch einer Aufführung des Schauspiels im Jahre 1914. Während
seiner Militärzeit 1915-1918 arbeitete Berg bereits an dem Werk,
vollendet wurde es in den Jahren 1918-1921. Die szenische Uraufführung
erfolgte 1925 an der Berliner Staatsoper unter der musikalischen Leitung
von Erich Kleiber. Als Inbegriff der musikalischen Moderne wurde das
erste abendfüllende Musiktheaterwerk aus der Stilepoche der sogenannten "freien
Atonalität" international repertoirefähig. So vieles an musikalischer
Tradition, was auf Bergs tonsprachliche Ausarbeitung Einfluss genommen
hat, ist uns heute durch die zeitliche Distanz evident geworden - vor
allem Schönbergs Frühwerk, seine Erwartung und das
gebundene Melodram des Pierrot lunaire . Zentral scheint auch
die Verbindung von so genanntem hohem und niedrigem Stil sowie der kompositorische
Bereich zwischen erweiterter und freier Tonalität und deren Verschmelzung
zu sein, einer Musiksprache des Wozzeck , welche die Anlehnung
an Mahler zu keiner Zeit verleugnet. Im Mittelpunkt des Büchnerschen
Dramas steht immer der Mensch, im Woyzeck die spezifische "Versuchsanordnung
Mensch" - und dies nicht nur im Sinne eines durch soziale Abhängigkeiten
festgelegten Verhältnisses zwischen dem menschlichen Experimentieropfer
und seinen Peinigern Hauptmann und Doktor. Vielmehr wird die Bilderfolge
als eine Darstellung archetypischer Menschenexemplare verstanden, in
denen Wozzeck - ausgestattet mit Symptomen von Krankheit und Kommunikationsstörung - als
der einzig "Gesunde" erscheint. Das "hohle Gewäsch" rhetorisch trainierter
Mächtiger steht hier gegen den hilflosen, aber in der Vertonung
emotional hoch-differenzierten Ausdruck menschlichen Denkens und Empfindens.
2. Widerspruch Woyzeck-Wozzeck ?
2.1. Form
Der Komponist selbst empfand nach Verzicht auf durchgehende, harmonische
Tonalitätsbeziehungen - eines der stärksten kompositorischen
Mittel hinsichtlich formbildender und einheitsstiftender Konstruktion - die
Notwendigkeit, neue formale Innenbindung gegen den vermeintlichen Sinnverlust
zu setzen: "Ein unverkennbares Gesicht, wie auch Abrundungen und Geschlossenheit"
wollte er dem Text verleihen. Durch die Art der Texteinrichtung und -bearbeitung
hatte Berg die Voraussetzung geschaffen, mit musikalisch-formalen Konstruktionen
dramatische Geschlossenheit zu erreichen. Jede Szene, jeder Akt wurde
als strukturelle Einheit gestaltet. In seinem berühmten Wozzeck-Vortrag
erläutert Berg, dass "die Geschlossenheit der musikalischen Formen
durch Heranziehung musikalischer Einheitsprinzipe" erfolgte, "sei es
die Einheit eines Themas, das variiert wird, sei es ein Ton, ein Akkord,
ein Rhythmus, eine gleichförmige Bewegung...". Um so paradoxer erscheint
es, dass der Text, auf dem das "Werk" - als Inbegriff dramatischer "Geschlossenheit" - basiert,
ein radikal-dramatisches Stück der offenen Form ist (mit Bildern
und Szenen ohne chronologische Abfolge), was gleichfalls eine erhebliche
Veränderung in Figuren- und Konfliktzeichnung zur Folge hatte. Obwohl
die Hauptleistung von Bergs Texteinrichtung in der logischen Gliederung
und Straffung der von Büchner nur als Fragment hinterlassenen Skizzen
besteht, deren Abfolge an das tradierte Dramenschema von Exposition,
Peripetie und Katastrophe verweist, bleibt ein grundsätzliches Missverhältnis
von offener Anlage und geschlossener Form bestehen: Die offene Anlage
und Form bei Büchner steht in entscheidendem Widerspruch zur hermetisch
geschlossenen "Opern-Form" bei Berg.
2.2 Inhalt
Ist der erste Widerspruch noch ein formaler, ist der zweite
ein sehr ins Gewicht fallender inhaltlicher Widerspruch. George Steiner,
Schriftsteller und Kritiker, bemerkte treffend: "Alban Bergs Opernfassung Wozzeck ist
sowohl als Musik wie als Drama hervorragend. Doch sie verzerrt Büchners
ursprüngliche Absicht. Die Musik macht Woyzeck beredt; die kluge
Instrumentierung verleiht seiner Seele Sprache. Im Stück ist diese
Seele nahezu stumm." Der Sprachlosigkeit (d.h. Kommunikationsunfähigkeit)
Woyzecks bei Büchner steht ein filigranes Psychogramm des Wozzeck
bei Berg widersprüchlich gegenüber. Berg verleiht durch seine
Musik und eine beredte Instrumentation Wozzeck die Sprachwerkzeuge, die
er bei Büchner gar nicht besitzt. Die Bearbeitung will sich nicht
zuletzt auch diesem Widerspruch stellen. Auf der Suche nach den Bedingungen
für eine Wieder-Annäherung an Büchners Woyzeck, ist eine
Bearbeitung der Oper für Soli und reduziertes Orchester der erste
Schritt. Realisierungen in neuen Raumsituationen aber auch Theatern werden
offene Interpretationsmöglichkeiten verifizieren.
3. Die Bearbeitung
3.1. Allgemeines
Die kompositorische Struktur generell, die Notierung
der Gesangspartien und die instrumentatorische Charakteristik des Werkes
bleiben wie in Bergs originaler Intention. Die Reduzierung der Bläser erfolgt in
Anlehnung an die satztechnischen Voraussetzungen der originalen Partitur
und bedingt die ebenfalls eine reduzierte Streicherbesetzung. Die Klanggestalten,
Klangfarben und Registerwechsel orientieren sich an der großen
Partitur und sind - wenn irgend möglich - auf die kleinere
Besetzung übertragen worden. Musikalisch wird durch die Besetzung
mit kleinem Orchester ein enorm transparenter Klang mit größtmöglicher
Durchhörbarkeit erzielt. Da als Voraussetzung für unmittelbares
Erleben und Rezeption eine optimale Textverständlichkeit vonnöten
ist, erscheint eine gleichberechtigte Behandlung von Orchester- und Gesangsstimmen
dem Drama zuträglich. Auf die konventionelle Verbannung des Orchesters
in den Graben kann verzichtet werden.
3.2. Raumsituation
Die bearbeitete Version für Soli und reduziertes Orchester ermöglicht
flexiblere Positionierungen von "Musik und Szene" im Raum. Normalerweise
befindet sich das Publikum in einer klassischen Konzertsaal- oder Theaterraumsituation
meist sehr weit weg vom szenischen und musikalischen Ereignis. In der
aktuellen Version könnte es extrem nah am Geschehen platziert und
einbezogen werden. Auch könnten sich variable Szenenwechsel durch
unterschiedliche Räume oder Orte, z. B. ein Wechsel vom Innen ins
Außen ergeben: dies immer als Ausgestaltung des Verhältnisses
zwischen Raum und symbolischem Ort ...
3.3. Solostimmen
Die Sängerpartien/Notationen sind originalgetreu übertragen.
Dass in der bearbeiteten Fassung eine genauere, d.h. radikalere Realisierung
von Sprech- und Gesangsnuancierung möglich ist, sei nur am Rande
vermerkt. Die Möglichkeit, auf den "Opernton" beim Singen
und Sprechen ganz verzichten zu können, kommt einem Publikum mit
modernen Hörgewohnheiten
entgegen und lässt die Protagonisten weniger "künstlich" erscheinen.
3.4. Instrumente
Die Orchesterbesetzung und Instrumentierung der Bearbeitung
orientiert sich so nah wie möglich an Bergs Partitur. Die instrumentalen Klangcharaktere
sowie eine ausdifferenzierte Vielfalt der Klangfarben bleiben erhalten,
der Registerwechsel von Streichern zu Holz- und Blechbläsern ist
dem Original angepasst. Der Klang insgesamt erscheint jedoch verdichtet
und akzentuiert, da meistenteils auf Verdopplungen und "Ausgleichs"-Instrumentierungen
verzichtet wurde. Durch die Möglichkeit, auf eine traditionelle
Orchestergraben-Bühnen-Situation zu verzichten, kann durch direkte
Nähe des Orchester zum Publikum das direkte körperliche Erleben
von Klang-Intensität und Klangdifferenziertheit verstärkt werden.
3.5. Chor
In der Bearbeitung ist auf die Verwendung eines Chors verzichtet
worden und nur als Option vorgesehen (als "ossia" notiert), um der inhaltlichen
Stringenz des Dramas durch "Veroperung" nichts an Transparenz und Schärfe
zu nehmen. Die Chorstimmen werden auf die Protagonisten (II/4 und III/3)
und gezielt auf Wozzecks Bezugspersonen - oder auf Instrumente (II) übertragen.
3.6. Bühnenmusik
Den Wirtshausszenen (II4, III3) kommt enorme Bedeutung
zu, da eine zeitlich-räumliche
Aufgliederung der Bühnenmusiken (live, per Video, per Audio) und
deren spezieller bzw. spektakulärer Einsatz am jeweiligen Aufführungsort
jederzeit möglich ist ("innen-außen", Musik und Zuschauer "in
Bewegung"). Im speziellen Fall der Szene vor Mariens
Wohnungstür (II3) kann die Aufteilung von Kammerorchester (15 Instrumente
in der Besetzung von Arnold Schönbergs Kammersymphonie )
und Hauptorchester eine räumliche Zuordnung des jeweiligen Orchesters
zu den beiden Protagonisten zur Folge haben: der Person des Wozzeck ist
das Kammerorchester zugeteilt, der Figur der Marie erst das Kammerorchester,
später das Hauptorchester.
4. Sängerbesetzung
4.1. Solostimmen
Wozzeck (Bariton), Tambourmajor (Heldentenor), Andres
(lyrischer Tenor), Hauptmann (Tenorbuffo), Doktor (Bassbuffo), 1. Handwerksbursche
(tiefer Bass), 2. Handwerksbursche (auch Ein Soldat: hoher Bariton),
Marie (auch Narr: Sopran), Margret (Alt), Mariens Knabe (auch Kinder:
womöglich
Singstimme).
4.2. Chor
Der Chor ist auf die Solosänger aufgeteilt, kann aber optional
auch von einem Chorensemble übernommen werden.
4.2.1. Wirtshausgarten (II/4)
Chor auf Männer-Solostimmen aufgeteilt; "Ein Jäger aus der
Pfalz": Takt 560, 580 und 636
1. Tenor: Andres(steigt rechtzeitig
in Andres-Partie um)
2. Tenor: Tambourmajor
1. Bariton: Hauptmann
2. Bariton: 2. Handwerksbursche
1. Bass: 1. Handwerksbursche
2. Bass: Doktor
4.2.2. Wachstube in der Kaserne (II/5, Takt 737)
Chor instrumental aufgeteilt
auf eine Bratsche, drei Violoncelli und einen Kontrabass
4.2.3. Schenke (III/3)
Chor auf Solostimmen aufgeteilt:
Sopran: Zusatzstimme (ab Takt 206) übernimmt
Stimme Marie
Alt: Margret
1. Tenor: Andres (ab Takt 202)
2. Tenor: 2. Handwerksbursche (ab Takt
209)
1. Bass: 1. Handwerksbursche (ab Takt 208)
2. Bass: Doktor ( ab Takt 208)
4.2.4. Straße vor Mariens Wohnung (III/5,
Takt 372)
Kinder: Mariens
Knabe übernimmt die Kinderstimme, Solo "Ringel,
Ringel, Rosenkranz"
5. Orchesterbesetzung
5.1. Hauptorchester
2 Flöten (auch Piccoloflöten), 2 Oboen (2. auch Englischhorn),
2 Klarinetten in B (auch in C und Es, 2. auch in A ), Bassklarinette
in B (auch Klarinette in B), 2 Fagotte (2. auch Kontrafagott); 2 Hörner
in F, 2 Trompeten in B und C (in F notiert), Tenorposaune, Bassposaune,
Tuba, 2 Schlagzeuger, Harfe (auch Triangel und Becken), Klavier (auch
Celesta und div. Schlaginstrumente), Streicher (5/4/3/3/2).
5.2. Kammerorchester und Bühnenmusik
5.2.1. "Ein Kammerorchester" (II/3, womöglich abgesondert vom
großen Orchester)
Flöte (auch Piccoloflöte), Oboe, Englischhorn, Klarinette
in Es, Klarinette in A, Bassklarinette in B, Fagott, Kontrafagott, 2
Hörner in F und Streichquintett. Vorschlag: Die 15 Musiker verlassen
am Ende der 2. Szene (ca. ab Takt 260ff die Position im Hauptorchester
und begeben sich sukzessive an vorgesehene Position im Raum (entweder
kreisförmig, sodass Wozzeck und Marie quasi inmitten des Klanges "eingekesselt" agieren,
oder als rechteckige Klangwand, vor der Wozzeck und Marie die Auseinandersetzung "sprechend" führen.
5.2.2. Militärmusik (I/3, auf der Bühne,
live oder Aufnahme)
2
Flöten (auch Piccoloflöten), 2 Oboen, 2 Klarinetten in Es,
2 Fagotte, 2 Hörner in F, 2 Trompeten, 2 Posaunen, Tuba, 2 Schlagzeuger
5.2.3. Heurigen- (Wirtshaus-) Musik (II/4, auf
der Bühne)
2 Fiedeln,
Klarinette in C, Ziehharmonika (Akkordeon), Gitarre (gegebenenfalls von
der Harfe auszuführen), Bombardon (Basstuba). Vorschlag zur Unterteilung
in fünf Abschnitte:
a) ab Takt 439-447 noch live aus
dem Orchester,
b) ab Takt 480-604 live von anderer Position (außen?)
oder aufgenommen,
c) ab Takt 605-635 "Predigt" live und/oder
aufgenommen mit 1. Handwerksburschen und Combo,
d) ab Takt 649-669 noch
live aus dem Orchester oder von anderer Position,
e) ab Takt 670-685
noch live aus dem Orchester oder von anderer Position (gegebenenfalls
auch Aufnahme)
5.2.4. Ein Pianino (III/3, auf der Bühne)
Informationen zur Bearbeitung
Informationen zum
Projekt 2004
Literaturtipps
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