wozzeck      
 


Alban Berg, Wozzeck

Oper in drei Akten (15 Szenen) op.7 nach Georg Büchners Drama

Alban Berg "Wozzeck" ©1926 by Universal Edition A.G., Wien
Bearbeitung für Soli und kleines Orchester von Eberhard Kloke © 2004 by Universal Edition A.G., Wien

Einleitung zum Revisionsbericht zur Bearbeitung von Eberhard Kloke
Stand: Berlin, April 2004 (EK)

 
 


1. Bergs Oper
Alban Berg, populärster Vertreter der Schule um Arnold Schönberg, schuf mit seiner Vertonung des Büchnerschen Dramenfragments über den "Abgrund Mensch" das Opern-Schlüsselwerk des 20. Jahrhunderts. Die Anregung zur Vertonung des Woyzeck erhielt Berg durch den Besuch einer Aufführung   des Schauspiels im Jahre 1914. Während seiner Militärzeit 1915-1918 arbeitete Berg bereits an dem Werk, vollendet wurde es in den Jahren 1918-1921. Die szenische Uraufführung erfolgte 1925 an der Berliner Staatsoper unter der musikalischen Leitung von Erich Kleiber. Als Inbegriff der musikalischen Moderne wurde das erste abendfüllende Musiktheaterwerk aus der Stilepoche der sogenannten "freien Atonalität" international repertoirefähig. So vieles an musikalischer Tradition, was auf Bergs tonsprachliche Ausarbeitung Einfluss genommen hat, ist uns heute durch die zeitliche Distanz evident geworden - vor allem Schönbergs Frühwerk, seine Erwartung und das gebundene Melodram des Pierrot lunaire . Zentral scheint auch die Verbindung von so genanntem hohem und niedrigem Stil sowie der kompositorische Bereich zwischen erweiterter und freier Tonalität und deren Verschmelzung zu sein, einer Musiksprache des Wozzeck , welche die Anlehnung an Mahler zu keiner Zeit verleugnet. Im Mittelpunkt des Büchnerschen Dramas steht immer der Mensch, im Woyzeck die spezifische "Versuchsanordnung Mensch" - und dies nicht nur im Sinne eines durch soziale Abhängigkeiten festgelegten Verhältnisses zwischen dem menschlichen Experimentieropfer und seinen Peinigern Hauptmann und Doktor. Vielmehr wird die Bilderfolge als eine Darstellung archetypischer Menschenexemplare verstanden, in denen Wozzeck - ausgestattet mit Symptomen von Krankheit und Kommunikationsstörung - als der einzig "Gesunde" erscheint. Das "hohle Gewäsch" rhetorisch trainierter Mächtiger steht hier gegen den hilflosen, aber in der Vertonung emotional hoch-differenzierten Ausdruck menschlichen Denkens und Empfindens.

2. Widerspruch Woyzeck-Wozzeck ?

2.1. Form
Der Komponist selbst empfand nach Verzicht auf durchgehende, harmonische Tonalitätsbeziehungen - eines der stärksten kompositorischen Mittel hinsichtlich formbildender und einheitsstiftender Konstruktion - die Notwendigkeit, neue formale Innenbindung gegen den vermeintlichen Sinnverlust zu setzen: "Ein unverkennbares Gesicht, wie auch Abrundungen und Geschlossenheit" wollte er dem Text verleihen. Durch die Art der Texteinrichtung und -bearbeitung hatte Berg die Voraussetzung geschaffen, mit musikalisch-formalen Konstruktionen dramatische Geschlossenheit zu erreichen. Jede Szene, jeder Akt wurde als strukturelle Einheit gestaltet. In seinem berühmten Wozzeck-Vortrag erläutert Berg, dass "die Geschlossenheit der musikalischen Formen durch Heranziehung musikalischer Einheitsprinzipe" erfolgte, "sei es die Einheit eines Themas, das variiert wird, sei es ein Ton, ein Akkord, ein Rhythmus, eine gleichförmige Bewegung...". Um so paradoxer erscheint es, dass der Text, auf dem das "Werk" - als Inbegriff dramatischer "Geschlossenheit" - basiert, ein radikal-dramatisches Stück der offenen Form ist (mit Bildern und Szenen ohne chronologische Abfolge), was gleichfalls eine erhebliche Veränderung in Figuren- und Konfliktzeichnung zur Folge hatte. Obwohl die Hauptleistung von Bergs Texteinrichtung in der logischen Gliederung und Straffung der von Büchner nur als Fragment hinterlassenen Skizzen besteht, deren Abfolge an das tradierte Dramenschema von Exposition, Peripetie und Katastrophe verweist, bleibt ein grundsätzliches Missverhältnis von offener Anlage und geschlossener Form bestehen: Die offene Anlage und Form bei Büchner steht in entscheidendem Widerspruch zur hermetisch geschlossenen "Opern-Form" bei Berg.

2.2 Inhalt
Ist der erste Widerspruch noch ein formaler, ist der zweite ein sehr ins Gewicht fallender inhaltlicher Widerspruch. George Steiner, Schriftsteller und Kritiker, bemerkte treffend: "Alban Bergs Opernfassung Wozzeck ist sowohl als Musik wie als Drama hervorragend. Doch sie verzerrt Büchners ursprüngliche Absicht. Die Musik macht Woyzeck beredt; die kluge Instrumentierung verleiht seiner Seele Sprache. Im Stück ist diese Seele nahezu stumm." Der Sprachlosigkeit (d.h. Kommunikationsunfähigkeit) Woyzecks bei Büchner steht ein filigranes Psychogramm des Wozzeck bei Berg widersprüchlich gegenüber. Berg verleiht durch seine Musik und eine beredte Instrumentation Wozzeck die Sprachwerkzeuge, die er bei Büchner gar nicht besitzt. Die Bearbeitung will sich nicht zuletzt auch diesem Widerspruch stellen. Auf der Suche nach den Bedingungen für eine Wieder-Annäherung an Büchners Woyzeck, ist eine Bearbeitung der Oper für Soli und reduziertes Orchester der erste Schritt. Realisierungen in neuen Raumsituationen aber auch Theatern werden offene Interpretationsmöglichkeiten verifizieren.

3. Die Bearbeitung

3.1. Allgemeines
Die kompositorische Struktur generell, die Notierung der Gesangspartien und die instrumentatorische Charakteristik des Werkes bleiben wie in Bergs originaler Intention. Die Reduzierung der Bläser erfolgt in Anlehnung an die satztechnischen Voraussetzungen der originalen Partitur und bedingt die ebenfalls eine reduzierte Streicherbesetzung. Die Klanggestalten, Klangfarben und Registerwechsel orientieren sich an der großen Partitur und sind   - wenn irgend möglich - auf die kleinere Besetzung übertragen worden. Musikalisch wird durch die Besetzung mit kleinem Orchester ein enorm transparenter Klang mit größtmöglicher Durchhörbarkeit erzielt. Da als Voraussetzung für unmittelbares Erleben und Rezeption eine optimale Textverständlichkeit vonnöten ist, erscheint eine gleichberechtigte Behandlung von Orchester- und Gesangsstimmen dem Drama zuträglich. Auf die konventionelle Verbannung des Orchesters in den Graben kann verzichtet werden.

3.2. Raumsituation
Die bearbeitete Version für Soli und reduziertes Orchester ermöglicht flexiblere Positionierungen von "Musik und Szene" im Raum. Normalerweise befindet sich das Publikum in einer klassischen Konzertsaal- oder Theaterraumsituation meist sehr weit weg vom szenischen und musikalischen Ereignis. In der aktuellen Version könnte es extrem nah am Geschehen platziert und einbezogen werden. Auch könnten sich variable Szenenwechsel durch unterschiedliche Räume oder Orte, z. B. ein Wechsel vom Innen ins Außen ergeben: dies immer als Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Raum und symbolischem Ort ...

3.3. Solostimmen
Die Sängerpartien/Notationen sind originalgetreu übertragen. Dass in der bearbeiteten Fassung eine genauere, d.h. radikalere Realisierung von Sprech- und Gesangsnuancierung möglich ist, sei nur am Rande vermerkt. Die Möglichkeit, auf den "Opernton" beim Singen und Sprechen ganz verzichten zu können, kommt einem Publikum mit modernen Hörgewohnheiten entgegen und lässt die Protagonisten weniger "künstlich" erscheinen.

3.4. Instrumente
Die Orchesterbesetzung und Instrumentierung der Bearbeitung orientiert sich so nah wie möglich an Bergs Partitur. Die instrumentalen Klangcharaktere sowie eine ausdifferenzierte Vielfalt der Klangfarben bleiben erhalten, der Registerwechsel von Streichern zu Holz- und Blechbläsern ist dem Original angepasst. Der Klang insgesamt erscheint jedoch verdichtet und akzentuiert, da meistenteils auf Verdopplungen und "Ausgleichs"-Instrumentierungen verzichtet wurde. Durch die Möglichkeit, auf eine traditionelle Orchestergraben-Bühnen-Situation zu verzichten, kann durch direkte Nähe des Orchester zum Publikum das direkte körperliche Erleben von Klang-Intensität und Klangdifferenziertheit verstärkt werden.      

3.5. Chor
In der Bearbeitung ist auf die Verwendung eines Chors verzichtet worden und nur als Option vorgesehen (als "ossia" notiert), um der inhaltlichen Stringenz des Dramas durch "Veroperung" nichts an Transparenz und Schärfe zu nehmen. Die Chorstimmen werden auf die Protagonisten (II/4 und III/3) und gezielt auf Wozzecks Bezugspersonen - oder auf Instrumente (II) übertragen.

3.6. Bühnenmusik
Den Wirtshausszenen (II4, III3) kommt enorme Bedeutung zu, da eine zeitlich-räumliche Aufgliederung der Bühnenmusiken (live, per Video, per Audio) und deren spezieller bzw. spektakulärer Einsatz am jeweiligen Aufführungsort jederzeit möglich ist ("innen-außen", Musik und Zuschauer "in Bewegung"). Im speziellen Fall der Szene vor Mariens Wohnungstür (II3) kann die Aufteilung von Kammerorchester (15 Instrumente in der Besetzung von Arnold Schönbergs Kammersymphonie ) und Hauptorchester eine räumliche Zuordnung des jeweiligen Orchesters zu den beiden Protagonisten zur Folge haben: der Person des Wozzeck ist das Kammerorchester zugeteilt, der Figur der Marie erst das Kammerorchester, später das Hauptorchester.

4. Sängerbesetzung

4.1. Solostimmen
Wozzeck (Bariton), Tambourmajor (Heldentenor), Andres (lyrischer Tenor), Hauptmann (Tenorbuffo), Doktor (Bassbuffo), 1. Handwerksbursche (tiefer Bass), 2. Handwerksbursche (auch Ein Soldat: hoher Bariton), Marie (auch Narr: Sopran), Margret (Alt), Mariens Knabe (auch Kinder: womöglich Singstimme).

4.2. Chor
Der Chor ist auf die Solosänger aufgeteilt, kann aber optional auch von einem Chorensemble übernommen werden.

4.2.1. Wirtshausgarten (II/4)
Chor auf Männer-Solostimmen aufgeteilt; "Ein Jäger aus der Pfalz": Takt 560, 580 und 636
   1. Tenor: Andres(steigt rechtzeitig in Andres-Partie um)
   2. Tenor: Tambourmajor
   1. Bariton: Hauptmann
   2. Bariton: 2. Handwerksbursche
   1. Bass: 1. Handwerksbursche
   2. Bass: Doktor

4.2.2. Wachstube in der Kaserne (II/5, Takt 737)
Chor instrumental aufgeteilt auf eine Bratsche, drei Violoncelli und einen Kontrabass

4.2.3. Schenke (III/3)
Chor auf Solostimmen aufgeteilt:
   Sopran: Zusatzstimme (ab Takt 206) übernimmt Stimme Marie
   Alt: Margret
   1. Tenor: Andres (ab Takt 202)
   2. Tenor: 2. Handwerksbursche (ab Takt 209)
   1. Bass: 1. Handwerksbursche (ab Takt 208)
   2. Bass: Doktor ( ab Takt 208)

4.2.4. Straße vor Mariens Wohnung (III/5, Takt 372)
Kinder: Mariens Knabe übernimmt die Kinderstimme, Solo "Ringel, Ringel, Rosenkranz"

5. Orchesterbesetzung

5.1. Hauptorchester
2 Flöten (auch Piccoloflöten), 2 Oboen (2. auch Englischhorn), 2 Klarinetten in B (auch in C und Es, 2. auch in A ), Bassklarinette in B (auch Klarinette in B), 2 Fagotte (2. auch Kontrafagott); 2 Hörner in F, 2 Trompeten in B und C (in F notiert), Tenorposaune, Bassposaune, Tuba, 2 Schlagzeuger, Harfe (auch Triangel und Becken), Klavier (auch Celesta und div. Schlaginstrumente), Streicher (5/4/3/3/2).

5.2. Kammerorchester und Bühnenmusik

5.2.1. "Ein Kammerorchester" (II/3, womöglich abgesondert vom großen Orchester)
Flöte (auch Piccoloflöte), Oboe, Englischhorn, Klarinette in Es, Klarinette in A, Bassklarinette in B, Fagott, Kontrafagott, 2 Hörner in F und Streichquintett. Vorschlag: Die 15 Musiker verlassen am Ende der 2. Szene (ca. ab Takt 260ff die Position im Hauptorchester und begeben sich sukzessive an vorgesehene Position im Raum (entweder kreisförmig, sodass Wozzeck und Marie quasi inmitten des Klanges "eingekesselt" agieren, oder als rechteckige Klangwand, vor der Wozzeck und Marie die Auseinandersetzung "sprechend" führen.

5.2.2. Militärmusik (I/3, auf der Bühne, live oder Aufnahme)
2 Flöten (auch Piccoloflöten), 2 Oboen, 2 Klarinetten in Es, 2 Fagotte, 2 Hörner in F, 2 Trompeten, 2 Posaunen, Tuba, 2 Schlagzeuger

5.2.3. Heurigen- (Wirtshaus-) Musik (II/4, auf der Bühne)
2 Fiedeln, Klarinette in C, Ziehharmonika (Akkordeon), Gitarre (gegebenenfalls von der Harfe auszuführen), Bombardon (Basstuba). Vorschlag zur Unterteilung in fünf Abschnitte:
   a) ab Takt 439-447 noch live aus dem Orchester,
   b) ab Takt 480-604 live von anderer Position (außen?) oder aufgenommen,
   c) ab Takt 605-635 "Predigt" live und/oder aufgenommen mit 1. Handwerksburschen und Combo,
   d) ab Takt 649-669 noch live aus dem Orchester oder von anderer Position,
   e) ab Takt 670-685 noch live aus dem Orchester oder von anderer Position (gegebenenfalls auch Aufnahme)

5.2.4. Ein Pianino (III/3, auf der Bühne)

Informationen zur Bearbeitung

Informationen zum Projekt 2004

Literaturtipps