Schostakowitsch 100        
 
 


Schostakowitsch im Jubiläumsjahr

Missverhältnis und Missverständnis!

Eberhard Kloke, Berlin im März 2006


 
 
 

Betrachtet man die Programme der diesjährigen Schostakowitsch-Jubiläen, fällt erneut auf, dass man sich darauf beschränkt, die gängigen Programmschemata für Musik und Werke Schostakowitschs anzuwenden. Eine mögliche Neuentdeckung kann jedoch ohne Neubewertung der historischen, politischen Kontexte nicht geschehen. Es nützt weder dem Werk noch dem Ansehen seines Autors, wenn der Musikbetrieb sich einen Komponisten der sogenannten "gemäßigten" Moderne unter falschen Voraussetzungen vereinnahmt.

Eine Neuentdeckung von Schostakowitsch hat eben weder mit jubiläumstechnischen oder programm-aktualisierenden Maßnahmen am Werk noch mit der üblicherweise verspäteten Vereinnahmung durch den Musikbetrieb ("posthum") zu tun als mit der Erkenntnis, Werk und politische Implikationen in noch engerem Bezug sehen und hören zu müssen. *Anmerkung siehe unten

Untersucht werden müsste die zentrale Frage nach Veränderungsprozessen in der Innen- und Außenwelt eines Menschen (Komponisten), die Frage nach individuellen, persönlichen und künstlerischen Antworten auf (mehrfach!) politisch herbeigeführten, radikalen Strukturwandel.

Heutige Sinne dafür zu schärfen, die sogenannte zweite Ebene der Musiksprache Schostakowitschs zu hören und zu begreifen und auf andere, heutige Musik und deren politische Implikationen zu übertragen, wäre das eigentliche Ziel eines neuerlichen Schostakowitsch-Rezeptions-Schubs.

 

Prawda-Artikel 1936 (Format: MP4, 3,5 MB)


Sinfonie Nr. 13 Babij Jar (Format: MP4 5,8 MB)

Die Darstellung für den 2. Videobeitrag fußt auf einem Foto von Wolfgang Selbach. (<info@selbachfotografie.de>)

*Anmerkung

So liegt es durchaus wieder im mainstream einer Jubiläumsaktion zum 100. Geburtstag eines Komponisten, wenn EMI jetzt eine Gesamteinspielung aller Sinfonien Schostakowitschs (1-15) unter Mariss Jansons mit 8 verschiedenen Orchestern (über einen Zeitraum von 15 Jahren - sic!) vorlegt. Es ist ja vielleicht schön für den Markt oder für die PR des Dirigenten, nützt allerdings einer weiter- und tiefergehenden Rezeption rein gar nichts, da es keine Auswirkungen auf die Programmatik der öffentlichen Konzertpraxis geschweige den auf einen differenzierteren Diskurs über oben ausgeführte Thematik haben wird.

(siehe auch den unkritischen Artikel von Oswald Beaujean im Feuilleton S. 36 in: DIE ZEIT Nr. 35, 24. August 06)